Zum Tod von Christof Lindenau

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Ein Nachruf von Gerald Häfner

Dieser Nachruf erschien zuerst in der anthroposophischen Wochenschrift "Das Goetheanum". Für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung danken wir dem Autor und der Redaktion 

Im August dieses Jahres ist Christof Lindenau (23.2.1928–8.8.2024) über die Schwelle gegangen. Christof Lindenau wurde 1928 in Danzig geboren. Nach dem Philosophie- und Literaturstudium in Freiburg/Breisgau übernahm er Tätigkeiten als Erzieher und Waldorflehrer sowie als Erwachsenenbildner, unter anderem in Schloss Hamborn und Bochum. Er baute ein berufsbegleitendes Waldorflehrerseminar mit auf und eine Anthroposophische Meditationswerkstatt. Für die GLS-Bank war Lindenau als Aufsichtsratsmitglied tätig. Lindenau verband sich früh mit der Anthroposophischen Gesellschaft ebenso wie mit der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft. Langjährige Mitarbeit in der Anthroposophischen Gesellschaft in Finnland und Deutschland (hier besonders im Arbeitszentrum NRW) sowie in der Sozialwissenschaftlichen Sektion der Freien Hochschule prägten sein Leben und Wirken. Er war nicht nur Autor zahlreicher Bücher, sondern auch Vortragsredner, Kursleiter, Gastgeber und Veranstalter von Seminaren über Anthroposophie, Dreigliederung, Gesellschaftsentwicklung, Studium, Meditation und meditative Forschung.

Christof Lindenau engagierte sich für eine menschliche, das heißt freiheitliche, gerechte und soziale Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens. Er war nicht nur ein unermüdlicher Forscher auf diesem Gebiet, sondern für viele auch ein wichtiger Lehrer und bedeutender Autor. Er lebte in einer besonderen Zeit. In Bezug auf den Umgang mit der sozialen Frage ließen sich damals in anthroposophischen Kreisen grob gesprochen vier verschiedene Strömungen beobachten: die derjenigen Menschen, die sich ganz von der politischen Wirklichkeit abwandten und nurmehr innere Wege suchten (und gelten ließen), die derjenigen, die sich, aufgerüttelt durch die Verhältnisse, in politischen Aktivismus stürzten, die derjenigen, die mehr theoretisch von ihnen «zu Ende gedachte» Bauanleitungen des sozialen Organismus verkündeten und immer darauf warteten, dass das, was sie vorausgedacht hatten, nun endlich gewollt und realisiert würde, und schließlich die derjenigen, die nicht auf eine Änderung im Großen warten wollten, sondern jetzt schon aus erneuerten sozialen Impulsen heraus konkrete Einrichtungen (wie Höfe, Schulen, Kliniken) aufbauten.

Christof Lindenau gehörte keiner dieser Strömungen an – oder: allen. Denn er war – das war eine auffallende Qualität seiner Persönlichkeit – ein herausragendes Beispiel dafür, dass und wie die Wege nach außen und die Wege nach innen einander nicht ausschließen, sondern, recht verstanden, eigentlich sogar bedingen.

Wirkliches Verständnis und Handeln aus der Anthroposophie kann sich erst dort entfalten, wo wir den Weg nach innen, also den Pfad der Selbsterkenntnis und der meditativen Vertiefung, mit dem Weg nach außen, also mit tatkräftigem Handeln und gesteigertem Engagement angesichts der Nöte der Welt, verbinden lernen. Dies und wie die auf dem einen Wege erzielten Fortschritte, Fähigkeiten und Erfahrungen auch die auf den anderen Wegen zu steigern vermögen, konnte man von ihm lernen.

Entsprechend verstand er die Dreigliederung des sozialen Organismus nicht normativ, sondern als Bedingung, Rahmen und Weg für eine von den Menschen zu gestaltende freiheitliche soziale Entwicklung. Christof Lindenau hat lebenslang an den Grundlagen einer Menschenkunde des denkenden Menschen gearbeitet und daraus vielfältige Anregungen für die methodische Gestaltung des anthroposophischen Studiums entwickelt. Beiträge dazu finden sich in seinen vielen Aufsätzen und Büchern. Ob in ‹Der übende Mensch: Anthroposophie-Studium als Ausgangspunkt moderner Geistesschulung›, in ‹Staunen, Mitgefühl, Gewissen: zur Anthroposophie als einer Versuchsmethode des Allgemein-Menschlichen› oder in ‹Soziale Dreigliederung: der Weg zu einer lernenden Gesellschaft – ein Entwurf zum anthroposophischen Sozialimpuls›, immer ging es ihm um den Weg zu einem eigenständigen, schöpferischen Studium der Anthroposophie und der Dreigliederung – und, untrennbar damit verbunden, um eine bewusste positive Entwicklung des Einzelnen wie der Gesellschaft.

So lebte Christoph Lindenau als ein leuchtendes Beispiel anthroposophischer Sozialwissenschaft und -gestaltungskunst.


Foto: Christoph Lindenau am 16.6.2006 auf der Jahresversammlung der GLS-Gemeinschaftsbank in Bochum, © Hans-Florian Hoyer

Literaturempfehlungen

  • Der übende Mensch. Stuttgart 1981.
  • Die Keimkräfte der sozialen Dreigliederung und ihre Pflege. Soziale Hygiene Nr. 47, Bad Liebenzell 1983.
  • Soziale Dreigliederung: Der Weg zu einer lernenden Gesellschaft. Stuttgart 1983.
  • Im Grenzgang zu erringen: Zur Übungs- und Arbeitsweise geistiger Forschung. Stuttgart 1994.
  • Staunen, Mitgefühl, Gewissen. Stuttgart 2003.

1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort

  • Jean-Marie Wenzel
    23. Oktober 2024 17:28

    Ich habe sein tausend Seiten umfassendes Rudolf Steiner Buch von 1997 gelesen, er hat mir kurz danach einen Brief geschrieben, den ich mir in schlimmen Tagen immer noch hervorhole.

    In Zeiten von YouTube und Twitter ist es schwer für Forscherpersönlichkeiten wie Gerhard Wehr und Christof Lindenau. Alle paar Jahre eine Spitzen-Monografie, aber keinen Personalausweis beantragen kônnen! Was muss das fûr ein Leben sein als Spitzen-Anthroposoph. Ganz im Geiste.

    Menschen, die heute Bücher kaufen, suchen das authentische Erlebnis. Eine Autor*in, die man anfassen kann. Die ein Mensch aus Fleisch und Blut ist. Und wir wollen Bücher, die man liest und nicht bloss ins Regal stellt. Bücher, die ihr Geld auch wert sind!

    Ich trauere um Christof Lindenau und sein Werk.

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