Über ein neues Buch zum Thema Dreigliederung.
Dieser Text erschien zuerst in der Zeitschrift "Sozialimpulse". Mit freundlicher Genehmigung des Autors
von Stefan Padberg –
Der Politologe und Anthroposoph Walter Kugler, von 2003 bis 2011 Leiter des Rudolf-Steiner-Archivs in Dornach und somit ein ausgewiesener Kenner des Werks Rudolf Steiners, hat kürzlich ein Buch über "Dreigliederung. Die Kunst der Zusammenarbeit" vorgelegt. Das Buch versteht sich als Einführung in diese Konzeption Rudolf Steiners und wird diesem Anspruch voll gerecht.
Walter Kugler setzt nicht voraus, dass die Leser‘innen Rudolf Steiners Gesellschaftskonzept kennen. Im Kapitel Auftaktgelingt es ihm in überzeugender Weise, zeitgenössische Leser‘innen einen Zugang zu eröffnen, indem er die Entwicklung von Rudolf Steiners Ideen zur Gesellschaftsgestaltung in vielfältiger Weise geschickt kontextualisiert. So steht zu Beginn sozusagen eine "Gebrauchsanweisung", wie man auf diese Ideen aus einer Gegenwartsperspektive zugehen kann, aus welchem Blickwinkel sie interessant sind und wie und warum Menschen sich im Verlauf der Zeit mit ihnen auseinandergesetzt haben.
Im zweiten Kapitel Richtkräfte werden quasi im Schnelldurchlauf Rudolf Steiners Ideen zur Sozialgestaltung vorgestellt. Dabei beginnt Walter Kugler in Rudolf Steiners vor-theosophischer Phase und zeigt so die Kontinuitäten in seiner sozialwissenschaftlichen Forschung auf. Das Kapitel hat seinen Titel von Joseph Beuys‘ Installation "Richtkräfte", was ein geschickter Kunstgriff ist. "Die Verwendung des Wortes Richtkräfte ist alles andere als eine Provokation, sondern vor allem ein Appell an die Entwicklung und Entfaltung eines beseelten Denkens, das für ein sinnvolles Zusammenleben unerläßlich ist. " (S. 32) So wird die bekannte Klippe umschifft, Rudolf Steiners Begrifflichkeit zu starr aufzufassen und ins Konstruieren einer Sozialutopie abzugleiten, was ja auch schon im Titel zum Ausdruck kommt, in dem das Wort "Dreigliederung", das oft als "Dreiteilung" missverstanden wird, mit dem Wort "Zusammenwirken" kombiniert wird.
Im dritten Kapitel Dreigliederung werden die drei Begriffe "Rechtsleben", "Geistesleben" und "Wirtschaftsleben" in ihrer historischen Entwicklung begleitet. Die Dreigliederungsbegrifflichkeit erscheint auf diese Weise als mit einer gewissen historischen Zwangsläufigkeit auftauchend. Erst am Ende dieses Kapitels wird der historische Dreigliederungsimpuls 1917-1922 geschildert: die Memoranden von 1917, die Betriebsrätebewegung 1919, die oberschlesische Aktion 1921, der Ost-West-Kongress Juni 1922 sowie der assoziativ-wirtschaftliche Modellversuch der "Kommender Tag AG". Umfangreiche Zitate aus zeitgenössischen Quellen nicht nur aus Dreigliederungszusammenhängen erleichtern es der sozialhistorischen Fantasie der Leserinnen und Leser, sich ein lebendiges Bild der Geschehnisse zu machen.
Das vierte abschließende Kapitel Rudolf Steiner – Unterwegs beleuchtet noch einmal genauer die vor-theosophische Phase seines Wirkens, von seiner Redakteurs-Tätigkeit in der Wiener Deutschen Wochenschrift, seiner Herausgeberschaft des Magazin für Litteratur und seiner Freundschaft mit dem bekannten Literaten und Vertreter eines "individuellen Anarchismus" John Henry Mackay. Sehr ausführlich wird aus Briefen zitiert, was der Schilderung eine sehr authentische Note gibt.
Aber der Hauptteil des Kapitels beschäftigt sich mit Rudolf Steiners Tätigkeit in der Berliner Arbeiterbildungsschule. Walter Kugler muss hierzu umfangreich recherchiert haben, denn er schildert uns die ganze Vorgeschichte vor Rudolf Steiners Eintritt in das Lehrerkollegium und auch noch die Zeit nach seinem Austritt. So wird nicht nur die Rolle der Berliner Arbeiterbildungsschule in Rudolf Steiners Biografie deutlich, sondern auch die Rolle Rudolf Steiners für die Arbeiterbildungsschule. Diese Darstellung bringt durch die umfangreich benutzten Quellen und die breite Schilderung vieles Neues auch für versierte Kenner‘innen Rudolf Steiners. Eine solche umfassende Kontextualisierung würde man sich auch für andere Phasen in Rudolf Steiners Biografie wünschen.
Als modern aufgemachtes Taschenbuch ist es für einen breiteren Leser‘innenkreis erschwinglich. Es ist für interessierte Menschen eine hervorragende Einführung in das Thema und sollte auf keinem Büchertisch fehlen.1 Interessant wäre es, Erfahrungen zusammenzutragen, wie Neulinge mit dem Buch zurecht kommen. Neben den beiden Büchern von Matthias Wiesman Solidar-Wirtschaft und Eintopf und Eliten halten wir hier wohl ein weiteres modernes Standardwerk für soziale Dreigliederung in Händen.
Walter Kugler
Dreigliederung. Die Kunst der Zusammenarbeit
Verlag am Goetheanum, Dornach 2020
ISBN 978-3-7235-1620-1
290 S., 20 €
1 Über den FIU-Verlag kann man dieses und jedes andere Buch bestellen: https://fiu-verlag.com/fiu-buchversand-bestellung/
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Ich beschäftige mich seit 1978 mit der Dreigliederung. Habe knapp 10 Jahre die Zeitschrift "Beiträge zur Dreigliederung, Anthroposophie und Kunst" herausgegeben. Von Zusammenarbeit innerhalb der Dreigliederungsbewegung habe ich wenig erfahren, selbst als ich mich in den 80er Jahren innerhalb der Solidarnosc-Bewegung engagiert habe und ich 2012/13 Mitglied des Deutschen Bundestages war und mehrfach versucht habe, meine "Position" mit der Dreigliederungsbewegung zu verbinden.
Ebenfalls suchte ich Unterstützung beim Niedergang meiner Rendsburger Waldorfschule. Da musste ich sogar erleben, dass der Versuch, den Dreigliederungsimpuls innerhalb der Schule durch Unterstützung aus der Dreigliederungsbewegung zu implantieren, von teilweise bekannten Dreigliederern in Richtung Abschaffung der Selbstverwaltung und durch Mobbing gegen Kollegen, die die Dreigliederung in der Schule neu implantieren wollten, torpediert wurde.
Überhaupt scheint die Dreigliederungsbewegung bei ihren Bestrebungen, Dreigliederungsstrukturen in den Institutionen der Bewegung zu fördern, eher wegzuschauen. Für andere hatte man gute Ratschläge bereit, innerhalb der eigenen Bewegung schaute man weitgehendst weg.
Was mich an den Ausspruch einer Eurythmieschulleiterin erinnert, die in einem Gespräch einmal deutlich machte: "Dreigliederung ja, aber nur außerhalb der Grenzen meiner Schule". Das war zu Beginn der 80er Jahre.
Viel geändert hat sich meiner Ansicht nach nicht.
Das Interesse z. B. der Waldorfschulen an der Dreigliederung ist insgesamt marginal.