Rudolf Steiner. Noch ein Nachruf

  1. Startseite
  2. Aktuell
  3. Rudolf Steiner. Noch ein Nachruf

Aus dem in Vorbereitung befindlichen Buch "Rudolf Steiner in Nachrufen" (Info3-Verlag) stellte uns der Herausgeber Wolfgang G. Vögele einen weiteren kurzen Nekrolog zur Verfügung, der am 16. April 1925 in der Dortmunder Zeitung "Tremonia" zu lesen war.Ihr Untertitel lautete "Organ für das katholische Volk". Gegründet wurde das Blatt von dem Verleger Lambert Lensing sen., Mitglied der Zentrumspartei. Sein Sohn Lambert Lensing jun. war 1945 Mitbegründer der CDU.

Wenn einmal unser Jahrhundert der Vergangenheit angehört, dann wird Rudolf S t e i n e r, der am 30. März zu Dornach bei Basel gestorben ist, in der Reihe der Gestalten wie Nostradamus, Dr. Faust, Swedenborg und Cagliostro stehen. Er gehört zu jenen großen Abenteurern, die sich nicht Krieg, Handel oder Piraterie als ihr Feld erwählen, sondern die Wissenschaft und die Menschenseele. Deutschösterreicher, 1861 zu Kraljevic (Kroatien?) geboren, stammte Rudolf Steiner aus dem Grenzbereich, wo sich Deutschtum, Slawentum und Judentum, Westen und Osten berühren und die unruhige, phantastische Geistigkeit erzeugen, die so oft das Abendland verwirrt hat. Für solche Menschen ist es verderblich, wenn sie zu Goethe kommen. Sein klassisches Maß, sein Wille zur Form, seine apollinische Helligkeit fehlt ihnen. Sie nehmen sein griechisch-naturhaftes Heidentum sofort dionysisch, ja mystisch-magisch. Der junge Steiner arbeitete am Goethe-Schiller-Archiv in Weimar und verwertete des Meisters Erbe bald auf eigene Weise. Goethes Natursichtigkeit und Pantheismus führte ihn zur Theosophie, die er, getreu dem Eritis sicut Deus, zur Anthroposophie umbildete. Der Mensch, der sich in mystischem Schauen höheren Welten unterwirft, steht im Mittelpunkt von Rudolf Steiners System. Es übte eine mächtige Anziehungskraft aus. Mit fast dämonischer Menschenkenntnis schuf der neue Prophet einen geheimnisvollen Ritus und eine kunstvolle Propaganda, und sein Goetheanum genannter mächtiger Tempel zu Dornach, dessen Stil beinahe afrikanisch-hamitisch anmutet, war ein sinnfälliges Denkmal seiner Macht. Der Tempel ging in Flammen auf, aber Steiner begann einen Neubau. Er konnte es, denn er war eine Großmacht geworden. In alle Kreise, bis zu den Regierenden, erstreckte sich sein Einfluß. Zu seinen Anhängern zählte der deutsche Generalstabschef von 1914, Graf M o l t k e, soll heute der stellvertretende Reichspräsident Dr. S i m o n s zählen. In Erziehung und Heilkunde gibt es eine Steinersche Schule, ja in Politik und Wirtschaft. Hier hat seine D r e i g l i e d e r u n g d e s s o z i a l e n O r g a n i s m u s mit Auflösung des Staates in eine wirtschaftliche, politische und kulturelle Sphäre viel Anklang gefunden. Eine Aktiengesellschaft "Der kommende Tag" war bestimmt, diese neue Gesellschaftslehre praktisch durchzuführen. Anthroposophie und Christentum endlich sucht die sogenannte Christengemeinschaft unter dem früheren liberal-protestantischen Theologen R i t t e l m e y e r. zu verschmelzen. Sie knüpft im Kultus an Katholischesan, scheint aber wesenhaft pantheistisch zu sein. – Auf welchen dieser Einzelgebiete wird das Werk Rudolf Steiners am längsten leben? Vielleicht wird es überall bald zerfallen, jedoch kaum, ohne daß einzelne Ideen dieses gewiß fruchtbaren, nur allzu zügellosen Geistes in mannigfach gewandelter Gestalt weiterwirken. Vor ihnen heißt es auf der Hut sein. 

© Foto: Themen der Zeit. Fenster des Schreinereisaals am Goetheanum in Dornach

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte füllen Sie dieses Feld aus.
Bitte gib eine gültige E-Mail-Adresse ein.
Sie müssen den Bedingungen zustimmen, um fortzufahren.

Abgeordnetenwatch
Presseagentur Alternativ

Reklame