Nachrufe auf Rudolf Steiner

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von Michael Mentzel

Mit seinem Buch "Rudolf Steiner in Nachrufen" hat Wolfgang G. Vögele nach seinem "Der andere Rudolf Steiner" nun ein weiteres Buch herausgegeben, das die Rezeptionsgeschichte der Anthroposophie um 46 Nachrufe auf Rudolf Steiner, dessen Todesjahr sich 2025 zum 100. Mal jährt, erweitert. Daran, dass Rudolf Steiner eine Person der Zeitgeschichte war, die weit über die damaligen Landesgrenzen hinaus bekannt und ähnlich wie heute, auch damals schon "umstritten" war, dürfte wohl kein Zweifel bestehen. 
Das Besondere an diesem – im Info3-Verlag – erschienen Buch ist, dass diese Nekrologe nicht in anthroposophische Medien erschienen sind, dass also die Verfasser dieser Nachrufe sich mit einem Thema befassen, das ihnen – wie im Verlaufe der Lektüre auch bemerkt werden kann ­kann – in manchen Fällen kaum oder nur oberflächlich bekannt war. 
Ähnlich wie heute schrieben die Autoren also über etwas, was ihnen so genannte "Chronistenpflicht" auferlegt und damit waren sie darauf angewiesen, was sie um der Aktualität willen in relativ kurzer Zeit zu Papier bringen können oder konnten. Dabei wechselte sich je nach der politschen oder gesellschaftlichen Ausrichtung des Blattes oder des jeweiligen Redakteurs Anerkennendes mit Unverstandenem ab. 
Gleichwohl zeigt das breite Spektrum der Nachrufe, das von ganz rechts (Völkischer Beobachter) bis ganz links (Rote Fahne) reicht, dass sowohl der gesamte Lebensweg Steiners als auch speziell die 1913 von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie zum Zeitpunkt seines Todes bereits in mannigfaltiger Weise Eingang in die öffentliche Wahrnehmung gefunden hatte. Am Todestag Steiners, dem 30. März, so der Herausgeber Vögele, war die Nachricht vom Tode Rudolf Steiners über die Schweizerische Depeschenagentur in alle Welt verschickt worden und so war auch in der New York Times zu lesen, dass "der wahrscheinlich bekannteste Okkultist der Welt (probably the most famous occultist of the world) verstorben sei." 

Nachrufe zeitgenössischer Persönlichkeiten und Publizisten 

Eröffnet wird der Reigen der Nekrologe von einem Journalisten namens Paul Gloning vom Reutlinger Stadtanzeiger, der sich einige Wochen nach dem Tod Rudolf Steiners zu der Art und Weise äußert, mit welcher "Fixigkeit" solche Nachrufe von Redakteuren geschrieben werden müssen, da zur gleichen Zeit wie eine solche Todesnachricht etliche andere Nachrichten die Redaktion erreichen: … "der zufällig 'Dienst tuende' Schriftleiter fühlt sich (…) berufen, zu urteilen, zu richten zu verwerfen, abzuurteilen und abzuschlachten". Und er fährt fort, dass sich in "manchen Nachrichten der Tageszeitungen die Fremdheit (zeige) mit der so viele, die in der Öffentlichkeit reden, den geisteswissenschaftlichen Fragen gegenüberstehen." Jan Böhmermann oder dem Herrn Rautenberg mögen hier vielleicht die Ohren klingen. 

Nun enthalten die Nachrufe zeitgenössischer Publizisten durchaus auch Substanzielles, auch wenn die Kritik an Steiner in den meisten Fällen ein wesentliches Element des jeweiligen Beitrags ist.
Der angesehene Kulturkritiker Siegfried Kracauer diagnostiziert in der Frankfurter Zeitung, dass der "fruchtbare Moment der anthroposophischen Bewe­gung (…) genau in die Jahre der Revolution [fällt], in jene Zeit also, in der größere Schichten des Volks sich jedes Halts im Irdi­schen und Jenseitigen beraubt fühlten." Hier wird man ihm sicher Recht geben müssen.  Man hätte, so Kracauer, "entweder in der Materie oder in den Wolken gelebt, nicht aber dazwischen, in der Wirklichkeit. Als eine Entfrem­dung von der Wirklichkeit läßt sie sich überschlä­gig kennzeichnen."  Dies wäre für viele. "die in solcher Leere den Anschluß an die Reli­gion nicht fanden" zur Botschaft geworden. Und Kracauer konstatiert: "Daß die Anthroposophie ein B l e n d w e r k ist, die Ver­blendeten faßten es nicht: der Reiz war übermächtig, der Geist verführt. Sie sahen nicht, dass die sogenannte Wissenschaft­lichkeit der Lehre Steiners eine Erschleichung des Naturwis­senschafters wider Willen ist, daß uralte und an ihrem Ort rechtmäßige Einsichten und Bilder in ihr zu einem unreinen Konglomerat verballhornt worden sind und das Gesamt der Schauungen einem luziferischen Übermut entspringt, der die Schranken menschlicher Erkenntnis mißachtet." 

Fast möchte man meinen, dass der Anthroposophie-Kritiker Ansgar Martins, der des öfteren in seinen Publikationen von Steiners "Imitation von Wissenschaft" irrlichtert, sich hier bei Kracauer bedient hat. 

Ein Nachruf aus Wien

Der Wiener Journalist Johann Liebstöckl kam in seinem Nachruf (Wiener Boulevard-Zeitung die Stunde) allerdings zu einer etwas anderen Auffassung. Nach der Schilderung von Steiners Lebensweg und einem kurzen Blick auf dessen (damals schon) umfangreiches Werk widmet er sich Steiners Gegnern: 
"Der Gegner gab es freilich viele; im Lager seiner Feinde fan­den sich Jesuiten, Antisemiten, Kommunisten und wissen­schaftliche Chauvinisten in brüderlicher Eintracht zusammen. Den Jesuiten, die Steiner für einen „Judenstämmling“ erklär­ten, war seine ungeheure Reformation der Anschauungen und kosmischen Deutungen des Christusimpulses ein Dorn im Auge; den Antisemiten kam Steiners europäischer Standpunkt in die Quere; die Kommunisten witterten in seinen Ideen über die „Dreigliederung des sozialen Organismus“ einen gefähr­lichen Gegner, und die Chauvinisten der Naturwissenschaften nahmen ihm übel, daß er, obschon er ursprünglich ein Anhän­ger Haeckels und auf den Methoden des der Naturwissen­schaften des XIX. Jahrhunderts fußend, zu den höchsten spirituellen Erkenntnissen vordrang. Sie alle waren entweder unfähig, ihn zu verstehen, oder verblendet genug, ihn nicht verstehen zu wollen." 
Die Verblendung also diesmal nicht bei den Anängern Steiners, sondern bei seinen Gegnern. Wiewohl an dieser Stelle anzumerken ist, dass Liebstöckl trotz seiner erkennbaren Sympathie für die Anthroposophie nie ein Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft gewesen ist. 

Eine Stimme aus Oldenburg …

In der Oldenburger Zeitung schreibt der Arzt und Autor Heinz von Witzleben: "Ich bin ein Gegner der Anthroposo­phie und speziell Steiners und halte sein Evangelium für eine Irrlehre, die scharf zu bekämpfen Pflicht ist, gerade wenn man an die Möglichkeit der Religiosität glaubt. (…) Aber das kann nicht hindern, anzuerkennen, daß mit dem Verstorbenen eine Persönlich­keit dahingegangen ist, die es mit wesentlichen Qualitäten und enormer suggestiver Kraft verstanden hat, Richtung gebend in der Krisis des Geisteslebens zu werden und weite Kreise aus einer trostlosen geistigen Lethargie zu wecken." Also auch hier, jemand, der die Zeichen jener Zeit zu deuten bemüht ist, aber der Anthroposophie nichts Gutes abzugewinnen bereit ist. 

…und eine aus Wuppertal

Im Nekrolog der Wuppertal-Elberfelder Bergisch Märkischen Zeitung polemisiert Herbert Eulenberg, ein Rheinländer, über Steiners Privatleben: "Wovon er lebte und sich stets im Gegensatz zu Hille (Peter Hille, aus dem Kreis der Berliner 'Kommenden') ganz gut kleidete, wußte man nicht recht. Man erzählte sich, dass seine Stubenwirtin sich in ihn verliebt habe und für alle seine Schulden, die übrigens nicht unbe­trächtlich waren, aufkomme. Offenbar muß dieser bezeichnenderweise aus Ungarn stammende Zauberlehrer wie Mohamed, wenn man ihn mit diesem vergleichen darf, früh einen starken Einfluß auf das weibliche Geschlecht ausgeübt haben. Als er dies mehr und mehr erkannte, war es bei ihm mit Schopenhauer und Hae­ckel aus. Denn die meisten Frauen wollen ihr Gemütsbedürf­nis befriedigt haben. Das geht durch Illusionen besser als mit klaren, nüchternen Philosophemen und Naturwissenschaf­ten. Er begann darum die Obermacht des Verstandes und der reinen Vernunft immer mehr zu überwinden und zu verleug­nen."
Dass Herr Eulenberg aus dem Dornacher Goetheanum ein "Goetheaneum" macht, mag durchaus zu verschmerzen sein, ansonsten aber scheint es bei ihm – und hier wagt der Rezensent mal wieder einen Blick in die Jetzt-Zeit – damals schon zu zandern: "Sein Einfluß auf unsere Zeit war mehr der eines Hypnotiseurs und Magnetopathen, eines Rat­ten- und Frauenfängers, als der eines wirklichen Menschen­bildners und wahren Erziehers unseres Geschlechtes. Man wird nicht allzu lange mehr an ihn denken, der seine Haupt­wirkung persönlichen Willensbeeinflussungen zu verdanken hatte." Diese Hoffnung allerdings hat sich mitnichten erfüllt.

Nekrologe aus dem völkischen und rechtskonservativen Milieu 

Der Völkische Beobachter, seit 1920 das Parteiorgan der NSDAP, in dem bereits Hitler Steiners soziale Ideen als "jüdisch" diffamiert hatte, erschien am 4. April 1925 ein nicht namentlich gekennzeichneter Artikel. In diesem werden Steiner "originelle Gedanken" abgesprochen. Alles schon mal dagewesen: "(…) Auch sonst wird man übrigens bei Rudolf Steiner kaum einen originellen Gedanken finden, überall greift seine Ide­enwelt in den altarischen Mythos hinein, oder er schöpft aus Kant und Schopenhauer. Genau so wie Spengler die Grund­gedanken zu seinem Werke vom „Untergang des Abendlan­des“ von Richard Wagner entlehnt hat, der in seinen beiden Abhandlungen „Erkenne dich selbst“ und „Was nutzt uns die Erkenntnis“ vor einem halben Jahrhundert, also zu einer Zeit, wo niemand noch solche pessimistische Gedanken hegte, uns nicht nur den Weltkrieg, sondern auch den darauffolgenden allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang, das Hungerelend der Massen, den Bolschewismus und den Untergang der abendländischen Kultur ungefähr um die Mitte dieses Jahr­hunderts voraussagte."
Auch an den sonstigen Gedanken Steiners lässt der "Völkische Beobachter" kein gutes Haar. "Kommt dann solch philosophasternder Charlatan vom Schlage Stei­ners mit dem entsprechenden Reklametamtam, dann reißt man sich um das Starennachgeplapper und staunt solches als Ausfluß höchster Weisheit an. Das dümmste Zeug und die flachsten Köpfe werden durch solche Reklame, durch der­artige Propaganda „volkstümlich“ gemacht."

Ein Blick nach Oberbayern

Eine weitere Stimme, diesmal aus dem rechtskonservativen antisemitischen Miesbacher Anzeiger, attestiert Rudolf Steiner, einer jener Männer zu sein, "die in geistiger Beziehung zu den Führern der Weltrevolution zu zählen sind. Steiner war einer der einflußreichsten Frei­maurer und gehörte dem 91. Grad an, war somit einer der Wissenden. Als die Revolution in Deutschland ausbrach, eilte er nach München und hatte dort in vielen Dingen einen maßgebenden Einfluß. Er verstand es glänzend, unter dem Anschein von Wissenschaft Afterwissenschaft zu verbreiten und die Geister zu verwirren."

Die Innsbrucker Nachrichten

Der Journalist und Kulturredakteur Alfred Strobel, der im Verein für das Deutschtum im Ausland aktiv war, schreibt am 31. März in den Innsbrucker Nachrichten, einem Blatt mit deutlich nationalkonservativer Tendenz, einen fast schon als Lobeshymne zu verstehenden Nachruf und kommt zu dem Schluss: "Vieles wird bleiben vom Lebenswerke Steiners. Seine „Rätsel der Philosophie“, seine „Geheimwissenschaft im Umriß“ und manch andere Buch sind Werke, die in der Lite­ratur des betreffenden Wissensgebietes ihren festen Platz erobert haben. Und sie allein schon erlegen allen Deutschen – gleichgültig welche Haltung sie den Lehren des Mannes gegenüber einnehmen – die Pflicht auf, in dieser Stunde mit Trauer des hervorragenden Denkers, der sich immer mit Stolz als Deutscher bekannt hat, zu gedenken." 
Ob und wie sich die Sicht des Autors Alfred Strobel auf die Anthroposophie und namentlich Rudolf Steiner dann von 1933 bis 1945 verändert haben mag und ob der Verein für das Deutschtum in Deutschland, der, so Wolfgang G. Vögele: "nach heutigen Einschätzungen wesentlichen Einfluss auf die NS-Volkstumspolitik [hatte]" und unter verschiedenen Namen bis 2019 in Deutschland noch aktiv war, derlei Lobesbekundungen noch zugestimmt hätte, ist dem Autor dieser Buchbesprechung nicht bekannt, wird aber bei Gelegenheit Gegenstand weiterer Nachforschungen seitens TdZ sein.

Nachrufe in sozialistischen und kommunistischen Medien 

Der am 31. März 1925 erschienene Nachruf von John Schikowski im sozialdemokratischen Vorwärts spart nicht mit Kritik an Rudolf Steiner, den er aus Berliner Zeiten offensichtlich gut kannte. Er beschreibt in kurzen Worten, wie er Steiner in den 1890er Jahren kennenlernte und merkt an: "Es liegt mir fern, mit den oft etwas bedenklichen Abenteuern, deren Held „Rudi Steiner“ war, sein Moralkonto zu belasten. So mancher Heilige hat durch die schmutzigsten Stationen des Erdenwegs hindurchpilgern müssen, ehe er zur Reinheit gelangte." Schikowski beschreibt sodann Steiners Wandlung um die Jahrhundertwende. Manchem Zeitgenossen, so der "Nachrufer" Schikowski, hätte die Lehre Rudolf Steiners vielleicht "persönliches Glücksempfinden beschert. Irgendwelche Kulturwerte hat sie zweifellos nicht geschaffen und wird sie auch in Zukunft nicht schaffen können. Da aber der Einfluß Steiners nicht auf seiner Person beruhte, sondern im wesentlichen das Echo des Zeitgeistes war, der einen großen Teil der heutigen Kulturmenschheit mit mystischen Anwandlungen heimsucht, so ist anzuneh­men, daß seine Lehren den Tod des Meisters eine Weile überdauern werden." 
Das diese "Weile" nun in der Tat schon 100 Jahre andauert, dürfte wohl inzwischen unbestritten sein, wenn auch die Anthroposophie etlichen Kritikern und "Wissenschaftsexperten" immer noch ein rotes Tuch oder anders ausgedrückt, ein Dorn im Auge ist. 

Vorwärts II

Ebenfalls im Vorwärts erschien dann wenige Tage später ein weiterer Nachruf, diesmal aber mit persönlichen Erinnerungen eines früheren Zuhörers Rudolf Steiners. Er schildert den Besuch eines Steiner-Vortrags im Jahre 1922 in Bremen und vergleicht ihn mit dem, was er zwanzig Jahre zuvor mit großer Begeisterung an der Berliner sozialistischen Arbeiterbildungsschule erlebt hatte:"Fünf Jahre wirkte der Anthroposoph an unserer Schule und wirkte gut und hatte, wie gesagt, eine gläubige Gemeinde, die mit ihm durch Tod und Hölle gegangen wäre. Seine Hörer rekrutierten sich zumeist aus der Arbeiterschaft, den Rest bil­deten einige Kaufleute und Studenten. Mit rührender Geduld nahm Steiner sich der wißbegierigen Autodidakten an, die meist nur eine mangelhafte Schulbildung aufzuweisen hatten und die von zehn- oder zwölfstündigem Tagewerk kamen und oft noch weite Wege zurückzulegen hatten. Er korrigierte ihre Reden und Stilübungen und gab ihnen in jeder Hinsicht Rat und Anleitung." 
Auch wenn sich der Autor dieses Nachrufes später von Steiner abgewandt hatte, merkt man seinen Ausführungen immer noch einen Teil jener Wertschätzung an, die er Rudolf Steiner zwanzig Jahre zuvor entgegengebracht hatte. 

Die Rote Fahne, Dreigliederung und der Klassenkampf

Die Rote Fahne, ein Organ des kommunistischen Spartakusbundes konnte, wie es scheint, schon zu Lebzeiten Steiners nichts Brauchbares an ihm finden, nennt ihn einen "soziologischen Utopisten", seine Anhänger (…)gleiteten [Sic?] mit ihm in das Jenseits hinein, dessen Kulissenzipfel er mit seiner 'Geisteswissenschaft' lüftete. Er zeigte, er 'bewies' ihnen, daß es möglich sei, der verschlagenen Welt die letzten Geheimnisse abzulisten und die höhere Weiche [Weihe] letzter Erkenntnisse durch andauernde 'Übungen' im Geiste der Anthroposophie zu erreichen." 
Zu den Ideen der Dreigliederung des sozialen Organismus fiel dem Autor Folgendes ein: Sie seien "eine reine Gedankenkonstruktion im luft- leeren Raum (…), die mit Wunschbildern arbeitet. In einer Zeit, wo sich der Kapitalismus auf der absteigenden Linie befindet, versucht Steiner in seinem System sich als Seelendoktor des verendenden Kapitalismus vorzustellen. Und so ist es letzten Endes auch verständlich, daß sich in den vergangenen Jahren die Anhänger Steiners aus allerlei Menschen rekrutierten, die in Steiner den begnadeten Menschheitsführer sahen, der die Menschheit aus dem Chaos führen, sie vor dem Kommunismus bewahren werde." 
Derlei "himmelsbeglückender Utopismis" und "Phantastereien" aber hätten nichts mit dem Proletariat zu tun, sondern die Rote Fahne besteht darauf: "Nicht Arbeitsgemeinschaft und Humanitätsdusel führen aus diesem sozialen Elend, sondern nur der revolutionäre Klassenkampf, in dem es nur ein Hüben und Drüben gibt, ist unsere Losung. Damit sei der Steinersche Utopismus für uns erledigt."

Wie sich konfessionelle Medien zu Steiners Tod äußern

Die katholische Reichspost hält sich nicht lange mit Vorreden auf, sondern nutzt die Gelegenheit, um gleich zur Sache zu kommen: "Das Steinersche System ist kein originelles Produkt, sondern eine Konstruktion aus älterem Material, das sich in der Geschichte der Philosophie an verschiedenen Orten, bei Philo, bei den Gnostikern, im Neuplatonismus, bei Jakob Böhme, Hegel und Schelling, zerstreut vorfindet." 
Es folgt dann ein Exkurs zur Erläuterung der menschlichen Erkenntnis und dass der "Anthroposoph" ohne "Vermittlung des Körpers ein unmittelbares Schauen der Wirklichkeit erreichen wolle." Und weiter heißt es dann: "Da Steiner den göttlichen Stifter des Christentums durch anthroposophische Entwicklungen begreifen will und seiner Gottheit entkleidet, so bedeutet das System Steiners auch einen scharfen Gegensatz zum christlichen Glauben. Nach der Lehre des Christentums ist uns das leibfreie Schauen der Wirklichkeit erst für das jenseitige Leben in Aussicht gestellt.(…) Vom christlichen Standpunkt aus ist die Anthroposophie Steiners unannehmbar." 
An dieser Stelle fehlt eigentlich nur noch ein Schrödersches "BASTA". 

"Auf der Hut sein" vor der "Großmacht" Steiner

Das Düsseldorfer Tageblatt sieht in Steiner eher einen "modernen Propheten" in dessen "System" der Mensch stehe, "der sich in mystischem Schauen höheren Welten unterwirft". Das Goetheanum, "… war ein sinnfälliges Denkmal seiner Macht. Der Tempel ging in Flammen auf, aber Steiner begann einen Neubau. Er konnte es, denn er war eine Großmacht geworden." 
Es folgt dann eine Aufzählung von Steiners wirtschaftlichen und politischen Aktivitäten und es wird gefragt, "auf welchen dieser Einzelgebiete wird das Werk Rudolf Steiners am längsten leben? Vielleicht wird es überall bald zerfallen, jedoch kaum, ohne daß einzelne Ideen dieses gewiß fruchtbaren, nur allzu zügellosen Geistes in mannigfach gewandelter Gestalt weiterwirken. Vor ihnen heißt es auf der Hut sein." 

Eine nachdenkliche Stimme aus der evangelischen Kirche

In der Zeitschrift Christentum und Wirklichkeit, 3. Jg., 7. Heft (Juli 1925) setzt sich der evangelische Laientheologe Constantin von Zastrow mit dem Verhältnis zwischen protestantischen Theologen und Vertretern der unter Mitwirkung Steiners gegründeten Christengemeinschaft auseinander. Ein Thema, das in den verschiedenen Nachrufen, wenn überhaupt, nur ganz am Rande berührt wird, aber unter ökumenischen Gesichtspunkten wert ist, einmal näher beleuchtet zu werden. 
Von Zastrow schreibt: "Unsere Treuga Dei hat, dünkt mich, allen Anlaß, an der Bahre des merkwürdigen Mannes, der am 30. März in Dornach gestorben ist, nachdenklich stille zu stehen." Der Privatgelehrte und freie Schriftsteller Rudolf Steiner sei "durch eigene emsige Studien in Naturforschung und Philosophie zu umfassender Weltenschau emporgestiegen." Steiners Einfluss werde der protestantischen Christenheit noch viel zu schaffen machen. Und die Frage des Autors lautet: "Sollte die Lehre der Christengemeinschaft nicht als theologische Hypothese eines treuga-dei-mäßigen Gedankenaustauschs der zünftigen Theologen würdig und bedürftig sein? (…) Wollen wir ein Bund sein, der über der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit auch die Liebe nicht vergißt, so müssen wir unsere Kirche daran erinnern, was sie der Christengemeinschaft schuldig ist."

Die Nachbarschaft äußert sich. Eine Stimme aus Arlesheim. 

Bei den Stimmen zum Tod Rudolf Steiners sticht eindeutig der Arlesheimer Pfarrer Max Kully heraus, der ein Jahr nach Steiners Tod polemisiert: "Mit Dr. Steiner ist der tüchtigste Geschäfts-Okkultist – wirklich der Cagliostro des XX. Jahrhunderts von uns geschieden. Der „Vernichter des Materialismus“ hat mit einem geradezu jüdischen Spürsinn erkannt, daß Theo-Anthroposophie ein einträgliches Geschäft ist. Große Summen hat der Schöpfer des Dornacher geisteswissenschaftlichen Warenhauses – rein zur Befriedigung seines persönlichen Ehrgeizes und seiner Machtgelüste – flüssig gemacht. Das okkulte Panama ist ein Beleg für die alte Wahrheit: mundus vult decipi – die Welt will betrogen sein! (…) Unzweifelhaft genießen Dr. Steiner und sein engster Anhang Protektion durch unsichtbare, geheime Mächte. Selbst eine Geheimorganisation, hat sie Affilierte und Alliierte, Gesinnungsgenossen bis in die Behörden, Ratssäle und Parlamente, wenn es auch mehr „stille“ Freunde sind. Irenik und andere Nachsicht sind gegenüber einem Geistesverwüster, Menschheitsverderber und Seelenverführer falsch angebracht. Gift bleibt Gift."

Weitere Beiträge aus konfessionell ausgerichteten Blättern sind aufgeführt und zeigen, dass die Anthroposophie aus – insbesondere katholischer – Sicht, wenn auch nicht direkt als Feind, so doch aber als eine gewisse Gefahr für die wackeren Christen angesehen wird, die treu auf dem Boden ihrer traditionellen Kirche stehen. 

Eine jüdische Stimme

Der fünfte und letzte Teil dieser von Wolfgang Vögele augezeichnet recherchierten Zusammenstellung der Steiner Nachrufe beinhaltet "Verschiedene weitere Nachrufe", unter anderem auch einen aus, so Vögele, "der damals weithin bekannten jüdischen Wochenzeitung 'Israelitisches Familienblatt'". Diese hebt hervor, dass Steiner "Zeit seines Lebens ein vorurteilsfreier Mensch [gewesen] und deswegen von den Antisemiten aller Schattierungen ge­haßt wie nur ein Rassejude und „Judengenosse“ gehaßt wor­den ist." Und unter Bezug auf den frühen Rudolf Steiner schreibt der Autor dieses Nekrologs: "Aus dieser Werdezeit des jungen Wahrheitssuchers stammen auch heute noch sehr lesenswerte Aufsätze, kritische Waffengänge mit Adolf Bartels, der damals, wie auch heute noch, alles Weh und Ach der Zeit nur aus einem Punkte kurieren möchte, der „Entjudung“ der Welt; mit Karl Weitbrecht, dem Ver­fasser einer heute fast verschollenen „Deutschen Literatur­geschichte des 19. Jahrhunderts“, die ebenfalls stark mit dem antisemitischen Kalbe pflügte." Abschließend heißt es dann, dass sich Steiner später aus dem "politischen und literarischen Tagesgezänk in reinere Regionen geflüchtet" hätte, in die "Welt der religiösen Mystik. Wie man aber auch über sein Werk, die Begründung der anthroposophischen Wissen­schaft, denken mag – ein Wahrheits- und Gottsucher von ehrlichem Streben und reinem Willen ist er auch auf diesem Gebiet gewesen."

Einige andere teilweise polemisch bis verletzend daherkommende Nachrufe, sowie auch solche, die nicht im üblichen Stil der damaligen Kritiker abgefasst wurden, sind im diesem letzten Teil dieses interessanten Beitrags zur anthroposophischen Rezeptionsgeschichte abgedruckt. Darunter auch ein Nachruf von Walther Harich (Königsberger Allgemeine Zeitung), der hier bereits als Vorabdruck dokumentiert ist.

So bleibt am Ende dieser kleinen Besprechung nur noch zu sagen: Dieses Buch ist eine großartige Arbeit eines lieben Kollegen, der auch lange Jahre die anthroposophische Medienlandschaft als Mitarbeiter der Nachrichtenagentur NNA bereichert hat.

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Wolfgang G. Vögele (Hg.)
Rudolf Steiner in Nachrufen
Von der Frankfurter Zeitung bis zur Roten Fahne
Info3 Verlag, 1. Auflage 2024
Klappenbroschur, 216 Seiten
ISBN 978-3-95779-213-6

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