Der US-Präsident versucht nicht einmal, der endlosen Kriegstreiberei des militärisch-industriellen Komplexes zu widerstehen.
Jeffrey Sachs für die Online-Zeitung INFOsperber
upg. Diesen Gastbeitrag von Jeffrey Sachs würden die vielen Zeitungen der Verlage NZZ, Tamedia und CH-Media kaum übernehmen. Doch auch diese Sicht gehört in die öffentliche Diskussion. Über den Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes hat Infosperber schon mehrmals informiert (siehe ganz unten). Professor Sachs ist Direktor des Zentrums für nachhaltige Entwicklung an der Columbia University in New York. Er war Berater von drei Uno-Generalsekretären und amtet derzeit als SDG-Berater unter Generalsekretär Antonio Guterres. Dieser Gastbeitrag erschien auf jeffsachs.org.
In der Aussenpolitik haben US-Präsidenten zwei wesentliche Aufgaben:
- Den militärisch-industriellen Komplex zu zügeln, der stets auf Krieg drängt.
- Die Verbündeten der USA zu zügeln, die von den USA erwarten, dass sie in ihrem Namen in den Krieg ziehen. Ein paar kluge Präsidenten hatten Erfolg, aber die meisten scheiterten. Joe Biden gehört sicher zu den Versagern.
Einer der klügsten Präsidenten war Dwight Eisenhower. Ende 1956 sah er sich mit zwei gleichzeitigen Krisen konfrontiert.
Die erste war ein katastrophal fehlgeleiteter Krieg, den Grossbritannien, Frankreich und Israel angezettelt hatten, um die ägyptische Regierung zu stürzen und die Kontrolle über den Suezkanal wiederzuerlangen, nachdem Ägypten diesen verstaatlicht hatte. Eisenhower zwang die Alliierten, ihren dreisten und illegalen Angriff zu beenden, unter anderem durch eine Resolution der UN-Generalversammlung, welche die USA unterstützten.
Die zweite Krise war ebenfalls im Jahr 1956 der ungarische Aufstand gegen die sowjetische Vorherrschaft in Ungarn. Obwohl Eisenhower mit dem Aufstand sympathisierte, hielt er die USA klugerweise aus Ungarn heraus und vermied so einen gefährlichen militärischen Showdown mit der Sowjetunion.
In seiner historischen Abschiedsrede an das amerikanische Volk im Januar 1961 warnte Eisenhower die Öffentlichkeit vor einem «verhängnisvollen Aufstieg einer fehlgeleiteten Macht». Er beschrieb damit den immer grösser werdenden Einfluss, wenn nicht gar die Kontrolle der Politik durch den militärisch-industriellen Komplex. Eisenhower weiter:
Wir dürfen niemals zulassen, dass der Einfluss dieses Komplexes unsere Freiheiten oder demokratischen Prozesse gefährdet. Wir sollten nichts als selbstverständlich ansehen. Nur eine aufmerksame und sachkundige Bürgerschaft kann die riesige industrielle und militärische Maschinerie zwingen, uns so zu verteidigen, dass die Sicherheit und die Freiheit gemeinsam gedeihen können.
Selbst Eisenhower gelang es nicht, den militärisch-industriellen Komplex und insbesondere die CIA vollständig zu zügeln. Kein Präsident hat dies vollständig getan. Die CIA wurde 1947 mit zwei unterschiedlichen Aufgaben gegründet. Die erste und nützliche Rolle war die eines Nachrichtendienstes. Die zweite und verhängnisvolle Rolle war die eines verdeckten Arms der Armee.
In der letztgenannten Funktion war die CIA seit Eisenhowers Zeiten bis heute für einen katastrophalen Fehlschlag nach dem anderen verantwortlich, darunter Putsche, Attentate und inszenierte «farbige Revolutionen», die allesamt endlose Verwüstungen und Zerstörungen angerichtet haben.
Kennedy stellte sich kriegstreibenden Beratern entgegen
Nach Eisenhower löste John F. Kennedy 1962 auf brillante Weise die Kuba-Krise, indem er ein nukleares Armageddon knapp abwendete. Er stelllte sich seinen eigenen kriegstreiberischen Beratern entgegen, um eine friedliche Lösung mit der Sowjetunion zu erreichen. Im darauffolgenden Jahr handelte er trotz der Einwände des Pentagons erfolgreich den Teilvertrag über das Verbot von Atomtests mit der Sowjetunion aus und erreichte die Ratifizierung durch den Senat.
Manche glauben, dass Kennedys Friedensinitiativen zu seiner Ermordung durch abtrünnige CIA-Beamte führten. Biden reiht sich in die lange Reihe von Präsidenten ein, die Tausende von Dokumenten, die mehr Licht in das Attentat bringen würden, unter Verschluss gehalten oder unkenntlich gemacht haben.
Sechzig Jahre später hat der militärisch-industrielle Komplex die amerikanische Aussenpolitik fest im Griff. Wie ich kürzlich beschrieb, ist die Aussenpolitik zu einem Insidergeschäft geworden, bei dem der militärisch-industrielle Komplex den Ton angibt und das Weisse Haus, das Pentagon, das Aussenministerium, die Militärausschüsse des Kongresses und natürlich die CIA kontrolliert. Sie alle arbeiten eng mit den grossen Rüstungsunternehmen zusammen.
Nur ein aussergewöhnlicher Präsident könnte sich der endlosen Kriegstreiberei dieser gigantischen Kriegsmaschine widersetzen.
Biden unterstützt Kriege nach Wahl
Der gegenwärtige Präsident Joe Biden versucht es nicht einmal. Während seiner langen politischen Karriere wurde Biden vom militärisch-industriellen Komplex [finanziell Red.] unterstützt. Im Gegenzug unterstützte Biden Kriege nach Wahl, massive Waffenverkäufe, von der CIA unterstützte Putsche und die NATO-Erweiterung in Europa.
Bidens Militärbudget für 2024 bricht alle Rekorde und erreicht mindestens 1,5 Billionen Dollar an Ausgaben für das Pentagon, die CIA, die Innere Sicherheit, Atomwaffenprogramme ausserhalb des Pentagons, subventionierte Waffenverkäufe ins Ausland, andere militärisch bedingte Ausgaben und Zinszahlungen für frühere Kriegsschulden. Zusätzlich zu diesem Berg von Militärausgaben fordert Biden weitere 50 Milliarden Dollar an «zusätzlichen Mitteln» für Amerikas «Verteidigungsindustrie», um weiterhin Munition an die Ukraine und Israel zu liefern.
Die Ukraine ist für die Konzerne ein grosses Geschäft
Biden hat keine realistischen Pläne für die Ukraine und lehnte sogar ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine im März 2022 ab. Das Abkommen hätte den Konflikt auf der Grundlage der ukrainischen Neutralität gelöst, indem es den vergeblichen Versuch der Ukraine, der Nato beizutreten, beendet hätte (vergeblich, weil Russland ihn niemals akzeptieren wird).
Die Ukraine ist ein grosses Geschäft für den militärisch-industriellen Komplex: zehn und möglicherweise hunderte von Milliarden Dollar an Rüstungsverträgen, Produktionsstätten in den USA, die Möglichkeit, neue Waffensysteme zu entwickeln und zu testen. Deshalb hält Biden den Krieg am Laufen – trotz der Zerstörung der Ukraine auf dem Schlachtfeld und des tragischen und unnötigen Todes von Zehntausenden von Ukrainern.
Der militärisch-industrielle Komplex und damit auch Biden meiden weiterhin Verhandlungen, obwohl direkte Verhandlungen zwischen den USA und Russland über die Nato und andere Sicherheitsfragen (wie die Stationierung von US-Raketen in Osteuropa) den Krieg beenden könnten.
Israels Politik der biblischen Apokalypse
In Israel ist Bidens Versagen noch deutlicher zu sehen. Israel wird von einer extremistischen Regierung geführt, welche die Zweistaatenlösung oder überhaupt jede Lösung ablehnt, die den Palästinensern ihre politischen Rechte zugesteht. Die Zweistaatenlösung ist tief im Völkerrecht verankert, einschliesslich der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats und der Generalversammlung und angeblich auch in der Aussenpolitik der USA. Im Rahmen der Zweistaatenlösung setzen sich die arabischen und islamischen Führer für eine Normalisierung und die Gewährleistung sicherer Beziehungen zu Israel ein.
Israel wird jedoch von gewalttätigen Eiferern geführt, die den messianischen Anspruch erheben, dass Gott Israel das gesamte Land des heutigen Palästina, einschliesslich des Westjordanlands, des Gazastreifens und Ostjerusalems, gegeben hat. Diese Eiferer bestehen daher auf der politischen Vorherrschaft über die Millionen von Palästinensern in ihrer Mitte oder auf deren Vernichtung oder Vertreibung.
Netanjahu und seine Kollegen machen keinen Hehl aus ihren völkermörderischen Absichten, auch wenn die meisten ausländischen Beobachter die biblischen Bezüge nicht ganz verstehen, auf die sich die israelischen Führer berufen, um ihr fortwährendes Massenschlachten des palästinensischen Volkes zu rechtfertigen.
Israel sieht sich nun vor dem Internationalen Gerichtshof in einem von Südafrika angestrengten Verfahren einer glaubwürdigen Anklage wegen Völkermordes gegenüber. Die von Südafrika und anderen vorgelegten Dokumente sind ebenso eindeutig wie erschreckend. Die israelische Politik ist nicht die Politik des Pragmatismus und schon gar nicht die Politik des Friedens. Es ist die Politik der biblischen Apokalypse.
Trotzdem liefert Biden Israel die Waffen, um massive Kriegsverbrechen zu begehen. Anstatt wie Eisenhower zu handeln und Israel zu drängen, sein völkerrechtswidriges Gemetzel zu beenden, fährt Biden fort, Waffen zu liefern. Dabei übergeht er sogar so weit wie möglich die Überprüfung durch den Kongress.
Das Ergebnis ist eine zunehmende diplomatische Isolierung der USA vom Rest der Welt und die zunehmende Verwicklung des US-Militärs in einen Krieg, der sich schnell und auf den Libanon, Syrien, Irak, Iran und Jemen ausweiten kann. Bei der jüngsten Abstimmung der UN-Generalversammlung zur Unterstützung der politischen Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes standen die USA und Israel allein da – mit Ausnahme von zwei Stimmen: Mikronesien (durch einen Vertrag verpflichtet, mit den USA zu stimmen) und Nauru (12’000 Einwohner).
Amerikas Aussenpolitik ist steuerlos, mit einem Präsidenten, dessen einziges aussenpolitisches Rezept der Krieg ist. Obwohl die USA bereits bis zum Hals in den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten stecken, beabsichtigt Biden zudem, mehr Waffen nach Taiwan zu liefern, trotz der lautstarken Einwände Chinas, dass die USA damit langjährige Verpflichtungen der Ein-China-Politik verletzen, einschliesslich der vor 42 Jahren im Gemeinsamen Communiqué zwischen den USA und der Volksrepublik China eingegangenen Verpflichtung, dass die US-Regierung «nicht beabsichtigt, eine langfristige Politik der Waffenverkäufe an Taiwan zu betreiben».
Eisenhowers düstere Prophezeiung hat sich bestätigt. Der militärisch-industrielle Komplex bedroht unsere Freiheit, unsere Demokratie und unser eigenes Überleben.
Quelle: www.Infosperber.ch
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Dieser Beitrag erschien am 15. Januar 2024 auf LAProgressive, auf Commondreams und auf Jeffrey Sachs Webseite. Übersetzung u.a. mit Hilfe von Deepl.