Wer wird KanzlerkandidatIn?
Ein Gast-Beitrag von Arfst Wagner –
Um es gleich vorweg zu sagen: Nach meinen Quellen wird Annalena Baerbock die Kanzlerkandidatin von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN.
Was bedeutet das für die Grünen? Baerbock ist in der Partei besser wesentlich besser vernetzt als Robert Habeck. Allerdings ist das standing von Habeck außerhalb der bisherigen grünen WählerInnenschaft erheblich größer. Die Entscheidung für Baerbock wird dazu führen, dass die Grünen nicht das Kanzleramt bewohnen werden. Das ist schade für die Grünen, aber noch bedauerlicher wegen eines (notwendigen) neuen Politikstils, den Annalena Baerbock nicht bringen wird. Sie steht, wenn auch teilweise mit neuen Inhalten, für die alte Machtpolitik und den (Sozial-)Staat von oben nach unten sowie für militärische Aufrüstung, was für grüne Verhältnisse relativ neu ist.
Der Kandidat
Bei allem, was man an Habeck kritisieren kann, hat er seine Fähigkeit zum Integrieren auch außerhalb der eigenen Partei bewiesen. Aber wie sollen das Grüne bemerken, die selbst in der Grünen Blase sitzen? Vor Jahren hatte ich einmal einen Gegenkandidaten bei einer parteiinternen Abstimmung, der gegen mich argumentierte, dass er – im Gegensatz zu mir – die Partei aus der Parteiblase herausführen wolle. Wenn man sich seine sozialen Medienauftritte ansah, hatte er 99% Freundinnen und Follower aus der Grünen Partei. Bei mir waren und sind es weder bei Facebook, noch bei Twitter, noch bei Linkedin jemals mehr als 40% Grüne Mitglieder gewesen. Mich freut das sehr, weil ich selbst einen viel breiteren Dialog führen kann, von dem ich immer profitiere. Die Abstimmung habe ich damals übrigens verloren. Innerlich habe ich darüber nur trocken lachen können.
Gut, nicht immer trifft Robert Habeck den Nagel auf den Kopf. Ich denke an das Interview bei Richard-David Precht, in dem Habeck allen Ernstes behauptete, die Beseitigung von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung hätte ihren Zenit bereits überschritten. Precht schaute ihn daraufhin ganz entgeistert an. Und auch ich dachte, ich höre nicht richtig. Aber ich weiß, dass Robert Habeck sich korrigieren lässt, er lässt sich vielleicht weniger gern durch Menschen, aber durch die Sache belehren.
Aber die Grünen, und das haben sie mit anderen Parteien gemeinsam, schaffen es mehrheitlich nicht, ihr Denken über die grünen Strukturen und Vorgaben hinaus zu bewegen. Robert Habeck kann es, und das habe ich an ihm immer geschätzt. Ich habe auch bemerkt, dass die Mehrheit in der Partei in Wahrheit wenig Interesse an Menschen hat, die auch außerhalb der Partei im Leben eine Rolle spielen. Und wenn, dann nur, wenn diese ihnen als Partei nutzen. Bunte Vielfalt ist oftFehlanzeige, auch wenn der Begriff immer wie eine Fahne vor sich hergetragen wird. Ich dachte bei meinem Eintritt, das sei anders. Ist es aber oft nicht. Das finde ich echt schade.
Die Kandidatin
Annalena Baerbock wird es. Sie formuliert schon bedrückend präzise, lässt dadurch keinen Raum für andere. Sie hat ihre eigenen Machtstrukturen innerhalb der Partei aufgebaut, während Robert Habeck teilweise sogar seine Freunden und Unterstützer vor den Kopf gestoßen hat. Strategisch nicht immer klug. Unsere Zeit will keine Veränderungen, keinen wirklichen Wandel, keine Diskussionen über Freiheit. Sie will Sicherheit. Sollten die Grünen den Kanzler stellen, ist das für viele bereits Wandel genug. Da muss es nicht auch noch zu einem Wandel von Inhalten kommen. Man hält ja die derzeitigen Inhalte für die Zukunft und bemerkt nicht, dass sie bereits Gegenwart geworden sind, was mit dem grünen Hype zusammenhängt, den es ja ansonsten gar nicht geben würde. Deshalb kommt Annalena Baerbock den meisten Parteimitgliedern gerade recht.
Annalena Baerbock wird als Kanzlerkandidatin der Partei nicht die nötigen Prozente bringen, da sie bei weitem die WählerInnenkreise außerhalb des grünen Potenzials nicht in der Art anzusprechen vermag, wie es Habeck tut. Das wird die Partei aber erst bemerken, wenn bei der Bundestagswahl im September die erste Hochrechnung vorliegt. Die Grüne Partei unterschätzt die Wirkung Habecks über sein Amt hinaus. Baerbock hat Habeck in der Zahl der Teilnahme an Talkshows überholt. Sie wird eingeladen, weil sie potenzielle Kanzlerkandidatin der Grünen und deren Vorsitzende ist. Robert Habeck wird zwar auch aus diesem Grund eingeladen, aber besonders, weil ein Interesse an seinen persönlichen Ansichten, Einsichten und Gedanken besteht. Habeck war immer mehr als Politiker. Baerbock ist Politikerin.
Wie schrieb die TAZ? Baerbock ließe sich mit einer sicheren, aber etwas langweiligen Lebensversicherung vergleichen. Habeck sei dagegen eher wie eine Lotterie: man wüsste nicht genau, was dabei rauskommt.
Manche meinen, und dem schließe ich mich an, Robert Habeck sei in der Lage, die gesellschaftlichen Veränderungen so denken zu können, dass sie mehr sind als das Neu-Zusammensetzen alter Bausteine. Und da ist Habeck aus meiner Sicht einer von sehr wenigen, die in der Lage sind, ihr politisches Denken ohne Opportunismus mit den gesellschaftlichen Entwicklungen mitgehen zu lassen. Annalena Baerbock steht sozialpolitisch für den Bevormunderstaat, der an jede Leistung Bedingungen und damit eine teure Bürokratie klebt. Und die mit Abstand meisten Wählerinnen und Wähler wollen in dieser Zeit lieber eine sichere Lebensversicherung.
Innerhalb der Partei gibt es das wording: Beide sind gleich qualifiziert und in der Lage, den Kanzler zu geben. Das ist jedoch entweder Augenwischerei oder man ist zu bequem, sich die Unterschiede einmal genauer anzuschauen. Und dann gibt es bei vielen die seltsame Neigung, eine Entscheidung zu fällen, die sich argumentativ ausschließlich auf die Geschlechtszugehörigkeit beschränkt, denn ansonsten, so heißt es, sind doch beide gleich. Aber dann: Frau geht vor.
Hinzu kommt, dass in der Partei die Angst herrscht, durch ein falsches Wort in einer solchen Diskussion die hohen Vorhersagewerte für die Partei zu beschädigen. Die Lösung lautet seit einiger Zeit: 1. Klappe halten. 2. Klappe halten. 3. Klappe halten.
Wenn ich mich also mit meiner Prognose weit vorwage: Durch die Entscheidung, Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin zu machen, werden die Grünen genau jene derzeit vorhergesagten Prozente wieder verlieren, die ihnen die Kanzlerschaft ermöglichen würden. Dadurch aber könnte Markus Söder Kanzler werden, denn Armin Laschet – so vermute ich – wird von der CDU nicht mehr lange zu halten sein.
Ob Annalena Baerbock Vizekanzlerin unter Markus Söder werden wird? Wir werden sehen.
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© foto: Arfst Wagner
Autorennotiz: Arfst Wagner, geb. 1954, war Bundestagsabgeordneter von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und Landesvorsitzender von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN-Schleswig-Holstein. Seit Mitte 2018 ist er parteilos.
7 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Volle Zustimmung, lieber Arfst! Mit Annalena Baerbock geht es stramm runter Richtung 10%. Denn mit schönen grünen Sprechblasen wird die Breite der Wähler nicht erreicht und erst recht nicht angesprochen.
Ich stimme dir voll zu.
Wir leben in einer Zeit, in der hoffentlich noch schonungsloser politische Maskierungen und verschleierte Inkompetenz an die Oberfläche gespült und entlarvt werden. Es lebe die Zukunft, in der wir uns nicht mehr von dieser Gattung Berufspolitiker vertreten lassen und selber aktiv werden.
Folgen wir einmal dem Gedankengang: Zunächst kennt Herr Wagner schon die Zukunft, ohne seine mir okkulten Quellen (Das ist durchaus auch materialistisch gemeint.) zu nennen: Annalena Baerbock wird es. Umso mehr erstaunt dann dann das große Lamento, dass es Herr Habeck nicht wird. Und dabei bleibt es: Hätte, wäre, würde… Wem nützt dieser letztlich demoralisierende und – für mein Gefühl – selbstherrliche Gastbeitrag? Insofern, und auch nur in Bezug auf diesen Fall, schließe ich mich Rainer Monnet an: Es ist gut, dass ich mich nicht mehr von Herrn Wagner als Politiker vertreten lassen muss. (Interessanterweise hat Herr Wagner diesen Text auch als Leserbrief in der TAZ veröffentlicht, als Bestärkung eines unsäglichen Kommentars zum gleichen Thema.)
Hier zur Info und Urteilsbildung der nach Erhard Steiner "unsägliche Kommentar" zu der Frage Baerbock / Habeck aus der TAZ. https://taz.de/Feminismus-bei-gruener-K-Frage/!5760834/
Ich finde den eigentlich ziemlich gut.
Lieber Erhard Steiner, dass man bei journalistischer Arbeit seine Quellen schützt und nicht gewissen Leuten zum Fraß vorwirft, ist eines der journalistischen Hauptgesetze. Zur Selbstherrlichkeit fehlt mir die Zeit. Und Rainer Monnet hat mich gar nicht gemeint, sagte er mir. Den hast Du offenbar, wie mich auch, missverstanden. Viele Grüße! Arfst Wagner
Zugegeben: mit Söder habe ich mich geirrt.