Der Satan auf dem Kurfürstendamm

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von Wolfgang G. Vögele

Der Schriftsteller Christian Bouchholtz publizierte 1921 ein Buch mit dem Titel "Kurfürstendamm", in dem er das genusssüchtige Nachkriegsberlin mit seinem Drogen- und Rotlichtmilieu schildert. Darin heißt es:
"Käme der Satan auf den Kurfürstendamm – überall würde er hereinfallen, geneppt und geprellt, ein für solche Welt zu dummerTeufel, und er müsste mit eingezogenem Schwanz zur Hölle zurück" 1 Bouchholz veröffentlichte im gleichen Jahr im "Berliner Tageblatt" einen Artikel "Das abergläubische Berlin". Darin nannte er eine Reihe von okkultistischen Logen, Orden und Vereine, darunter auch die Anthroposophische Gesellschaft. Das Aufblühen dieser Gruppen führt er auf Kriegsfolgen zurück: "Tod, Wunden, Nervenzerrrüttung". Nachdem er groteske Vorgänge in einigen okkultistischen Zirkeln erwähnt hatte, (Kundgebungen aus dem Jenseits usw.) schreibt er: 
"Am interessantesten und ernsthaftesten dürfte die ‚Anthroposophische Gesellschaft’ in der Motzstraße sein. Hinter ihr steht der bekannte Dr. Steiner. 2

Mit berechtigter Empörung erwähnt Rudolf Steiner diesen Artikel in einem Dornacher Vortrag: "In dem bekannten ‚Berliner Tageblatt’ wird ein Artikel fabriziert über alles mögliche kloakenhafte Zeug, was sich in Berlin als Wahrsagerei und als Prophetentum dümmster Art geltend macht, und mitten drinnen wird auf die Anthroposophie und mich hingewiesen. Dieser Artikel wird dann hinausgeschickt in die Welt. Er erscheint in englischen ebenso wie in schweizerischen Zeitungen. Es wird in der infamsten, schamlosesten Weise an der Vernichtung anthroposophischer Weltanschauung gearbeitet […]. wir brauchen eine Auseinandersetzung mit alledem, was gegenwärtig in der Welt an der Verblödung und an der Degenerierung der Menschheit arbeitet. Und dessen ist, sehr sehr viel. […] Man könnte wirklich vierundzwanzig Stunden an der Widerlegung dieses Schandzeuges arbeiten." 3

Einige Tage später kommt Steiner auf den Artikel zurück: "[Die Gegner] haben vor, unsere Bewegung durch Machinationen unmöglich zu machen. Und diese Machinationen werden ja sehr raffiniert angestellt. Bedenken Sie nur einmal, welches Raffinement jetzt in dem Feldzug des Berliner Tageblattes liegt. Nicht wahr, das Berliner Tageblatt lässt sich einen Artikel fabrizieren, worin alle möglichen blödsinnigen Okkultisten erwähnt werden, und mitten drinnen steht die Anthroposophie, die damit nichts zu tun hat. Aber die Leute ersparen sich dadurch, sich mit der Anthroposophie zu beschäftigen, indem sie sie einfach unter den Blödsinn rubrizieren. Natürlich, von dem Unsinn, der da drinnen steht, da können alle Leute etwas begreifen, dann hat man nicht nötig, sich noch besonders mit der Anthroposophie zu beschäftigen.– Das wird tatsächlich ganz international verbreitet, es tritt einem überall entgegen, in englischen Zeitungen, überall. Das ist aber nur eines. Es beginnt in der nächsten Zeit – es hat schon begonnen, aber es wird fortgesetzt – ein Vernichtungskrieg gegen dasjenige, was unsere Bewegung ist " 4

Hellsehereien

In den 1920er Jahren setzte die Kriminalpolizei Hellseher zur Aufklärung von Verbrechen ein. 5  Mit "paranormal Begabten" wurden psychologische Tests durchgeführt. Auch Rudolf Steiner wurde mehrfach öffentlich aufgefordert, seine hellseherischen Fähigkeiten unter Laborbedingungen testen zu lassen, was er aber ablehnte: "Wer solche Prüfungen fordert, versteht nicht das Geringste von dem, was in anthroposophischer Geisteswissenschaft lebt." 6 Die Vermischung der Anthroposophie mit dem trivialen Okkultismus wurde unbekümmert fortgesetzt, wie ein Artikel "Berliner Okkultisten" von Franz Schulz aus dem Jahr 1922 zeigt: 
… "Okkultismus ist dernier cri in Berlin. Nicht Mode der oberen Zehntausend dieses mal, sondern Mode von hunderttausend Niederen. "Dernier cri de la masse" sozusagen… Okkultismus in jeglicher Gestalt ist Weltanschauung seiner Gläubigen. Oder Weltflucht. Und Mode zugleich, so wie er in Berlin unserer Tage auftritt. Ein Führer, ein paar Jünger. Eine Schar Mitgerissener – – diese Abstufung sehen wir in der okkultistischen Strömung. […] Da ich keine wissenschaftliche Abhandlung, keine Verteidigung und auch keinen Angriff schreibe, fasse ich unter dem Namen des Okkultismus die "weiße" wie die "schwarze" Magie zusammen; Spiritismus, Theo- und Anthroposophie, mystifizierendes Urchristentum, asketisches und orgiastisches Sektierertum, und überhaupt alle Heilslehren, welche von Propheten beiderlei Geschlechts den Zeitgenossen gepredigt werden." 7

Von den übersinnlichen Dingen

1924 erschien eine Art Handbuch des Okkultismus. Sein Verfasser, der Schriftsteller und Redakteur Eberhard Buchner (1877-1933) besprach darin Phänomene des Aberglaubens (Vampirismus, Spuk, Klopfgeister, Wahrsagen, Kartenlesen), aber auch die Anthroposophie. 8 Seine Informationen bezog Buchner meist von "Aussteigern", die Steiner als Ausbund von Unmoral diffamiert hatten.


1928 brachte das illustrierte Massenmagazin "Uhu" (Ullstein Verlag Berlin) einen Artikel "Schlagworte unserer Zeit". 9Darin erklärten Experten häufig gebrauchte, aber oft unverstandene Begriffe wie Neue Sachlichkeit, Bauhaus, Bolschewismus, Atonalität, Verjüngung, Psychoanalyse, Relativitätstheorie und Okkultismus. Jedes Schlagwort wurde mit einem Foto seines Repräsentanten illustriert. Dr. Hans Kern schrieb den Abschnitt "Okkultismus". Dazu gehören laut Kern nicht nur Gedankenlesen, Hellsehen und Telepathie, sondern auch die moderne Theosophie, die in Deutschland durch Steiner als "Anthroposophie" neu begründet worden sei. Sie stelle "ein widerspruchsvolles Gemisch aus uralten und ehrwürdigen gnostischen Lehren der verschiedesten Völker dar". Mit Philosophie oder Wissenschaft habe sie aber nichts zu tun. 

Steiner als Repräsentant des modernen Okkultismus (Aus dem "Uhu", 1928)

Ein neuerer Steinerbiograf stellte fest, der dezidierte Spiritismusgegner Steiner habe sich heimlich als Spiritist betätigt, indem er der Witwe des verstorbenen Generalstabschefs Helmuth von Moltke jahrelang dessen Mitteilungen aus dem Jenseits zukommen ließ. Diese seien in der Außenperspektive nicht von klassischen Geisterkundgaben zu unterscheiden.10 
Aufgrund dieses "Channelings" wird Steiner heute zu den berühmtesten spiritistischen Medien gerechnet.11


Illustration1 – Berliner Tageblatt 26. Jan. 1921
Illustration2 das Magazin "Uhu" 1928

1 zit. nach: Harald Jähner: Ost-Berlin vs. City West. Der Satan auf dem Kudamm. Berliner Zeitung, 03.04.2014
2 Christian Bouchholtz: Das abergläubische Berlin. Okkulte Volksschulen und spiritistische Laboratorien. Berliner Tageblatt und Handelszeitung Nr. 39, Dienstag, 25. 01.1921, 1. Beiblatt
3 Vortrag Dornach, 8. Februar 1921, GA 203, S. 220 ff
4 Vortrag Stuttgart, 13. Februar 1921, GA 338 (zit. nach Ausgabe Dornach 1969, S. 60)
5 Ubald Tartaruga: Kriminal-Telepathie und -Retroskopie: Telepathie und Hellsehen im Dienste der Kriminalistik. Verlag Max Altmann. Leipzig, 1922.
6 Stuttgart, 25. Mai 1921, GA 255b, S. 320
7 Franz Schulz: Berliner Okkultisten. Prager Tagblatt, Nr. 141, Dienstag, 20. Juni 1922, S. 2
8 Eberhard Buchner: Von den übersinnlichen Dingen. Ein Führer durch das Reich der okkulten Forschung (Leipzig, 1924)
9 Schlagworte unserer Zeit. Der Uhu, 4. Jg. 1927/28, Heft 10 (Juli), S. 23 f
10 Helmut Zander, Anthroposophie in Deutschland, 2007, S. 936
11 Wikipedia: "Medium (Person) ", abgerufen am 02.02.2025.Bb

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